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Exzesse am "Roten Mittwoch" (17.01.1906)
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Daten: |
Autor: |
balou |
Eingestellt am: |
30.07.2008 - 22:27:32 Uhr |
Persönlicher Bezug: |
- |
Typ: |
Einzelmord |
Mordart: |
Erschlagen
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Mordort: |
Fischmarkt, Hamburg |
Realitätsbezug: |
Realer Mord |
Täter gefasst: |
Nicht bekannt |
Altersgruppe des Opfers: |
Jahre
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Geschlecht des Opfers: |
Männlich |
Mord ID: |
231 |
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Exzesse am "Roten Mittwoch" (17.01.1906) |
Eine ganze Stadt als Privateigentum - diesen Eindruck kann man zumindest bekommen, wenn man Hamburg gegen Ende des 19. Jahrhunderts betrachtet: Dort durfte um 1890 nur wählen, wer ein Hamburger Bürger war - eine Ehre, die man sich teuer mittels einer Bürgerschaftsgebühr erkaufen musste und die zudem an ein Mindestaufkommen an zu zahlenden Steuern geknüpft war.
Als Folge dieses Wahlrechts herrschte in der Freien und Hansestadt Hamburg eine kleine Schicht von rund 24.000 vermögenden Personen - zumeist Kaufmannsfamilien - über eine knapp 25 mal größere Bevölkerung, der jedes Wahlrecht versagt war. Dies erschien umso ungerechter, als zu dieser Zeit im restlichen Deutschland bereits alle erwachsenen Männer den deutschen Reichstag wählen durften.
Immer lauter wurden daher die Forderungen nach einer Öffnung des hamburgischen Wahlrechts, zumal die allesbestimmende Schicht der Kaufleute nur ihre eigenen Wirtschaftsinteressen verfolgten, und wenig für die übrige Bevölkerung taten. So erfolgte bis 1888 ein intensiver Ausbau des Hafens. Andere Projekte jedoch, wie der Aufbau eines Trinkwassersystems für die Hamburger, schleppten sich nur zögerlich dahin.
Als dann schließlich 1892 aufgrund der mangelhaften Wasserversorgung eine verheerende Cholera Epidemie in Hamburg ausbrach, die über 8.000 zumeist ärmere Hamburger das Leben kostete, wurde der Druck zu groß: 1896 kippte man die Bürgerschaftsgebühr und senkte die Besitzstandshürden. Als Folge wuchs die Zahl der wahlberechtigten Hamburger Bürger 1904 auf mehr als das Doppelte, nämlich gut 60.000 Personen an, die zudem größtenteils keine Kaufleute, sondern normale Angestellte oder Arbeiter waren.
Den bis dahin bestimmenden Kaufmannsfamilien war dies ein Dorn im Auge, da diese neue Zusammensetzung zu einem Erstarken der SPD führte und sie dadurch früher oder später erhebliche Interessenskonflikt befürchten mußten. Als Gegenmassnahme veröffentlichte der Senat daher am 24. Dezember 1905 eine Vorlage zur Umwandlung des Wahlrechts, welches im Kern die Aufteilung in 2 Klassen von Wahlbürgerschaften vorsah - ein offenkundiger Angriff auf die neu hinzugekommenen sozialdemokratischen Vertreter, aus dem der Senat auch kein Geheimnis machte.
Dieser Änderungsversuch führte zu so großer Empörung, dass bei der Bevölkerung von "Wahlrechtsraub" und "Betrug" die Rede war. Als Antwort rief die Hamburger SPD zum ersten politischen Generalstreik Deutschlands am 17. Januar 1906 auf, einem Aufruf, dem so viele Menschen folgten, dass selbst die Initiatoren überrascht waren. Die Angaben schwanken zwischen 30.000 und 80.000 Personen, Tatsache war jedoch, dass die rund 260 Hamburger Polizisten mit der Situation und den Menschenmassen heillos überfordert waren.
Als sich die Stimmung gegen Abend immer weiter aufheizte und - wohl auch unter dem Einfluss von Alkohol - erste Steine und Biergläser flogen, Feuer gelegt wurden und Plünderungen stattfanden, fing die mittlerweile im Dauereinsatz befindliche Polizei an, die Demonstranten mit gezogenem Säbel zurückzudrängen. Dies ging anfangs ohne größere Verwundungen zu, je später der Abend jedoch, desto gereizter reagierten die Polizisten. Da sich zudem die Zahl der Demonstranten über die Zeit stark ausgedünnt hatte - ein Großteil war bei Dunkelheit schon nach Hause gegangen - begannen regelrechte Treibjagden der Uniformierten auf kleinere Menschengrüppchen die noch in den Strassen und Kneipen unterwegs waren.
Ein Opfer dieser Polizeiexzesse war der 22-jährige Tischler Georg Wittmann, der aus Süddeutschland stammte und aufgrund seines Sprachakzents eine willkommene Zielscheibe für die "vaterstädtischen" Polizisten war. Am Hamburger Fischmarkt wurde Wittmann beschimpft, niedergerissen, geschlagen und mit Füßen getreten. Schließlich zertrümmerte einer der Polizisten mit einem Säbel den Schädel des Tischlers, der noch auf dem Fischmarkt starb.
Der 17. Januar 1906 ging unter dem Namen "Roter Mittwoch" in die Hamburger Geschichte ein und forderte noch weitere Opfer in der Zivilbevölkerung. Der Wahlrechtsvorschlag hingegen wurde am 28. Februar ratifiziert und in Kraft gesetzt.
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Quelle: |
Allgemeinwissen |
Weitere Angaben: |
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Permalink: |
https://www.mordort.de/morddetail/exzesse-am-roten-mittwoch-17011906-mid-231__blWAFklyAgkUY |
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